GLÜCK

                                              ... nach einer Schreibanregung                             beim Zoom-ONLINE-Schreiben

von Sabine Hinterberger

 

 

„Das Glück liegt auf der Straße.“ Erst gestern hatte ich diesen dusseligen Spruch aus dem Glückskeks gezogen. Aber irgendwie war es ja auch witzig, dass die Chinesen die Kekse nach wie vor verschenkten. Sei es drum.

 

Heute auf dem Weg zur Arbeit fiel er mir wieder ein. Ich ging die gewohnte Strecke und sah nach der nächsten Biegung etwas an der Hauswand des Genossenschaftshauses liegen. Eine Pik Dame. Ich hob sie auf und steckte die ramponierte Karte in die Hosentasche. Kartenspielertricks fielen mir ein. Aus Karten lesen. Waren das Tarot Karten? Was bedeutete eine Pik Dame, wenn die Wahrsagerin sie zog? Ich schüttelte über mich selber verwundert den Kopf. So ein Blödsinn!

 

Einige hundert Meter weiter lag – zwischen Autos beinahe verborgen – Spielgeld. Ein falscher Fuffziger. Sozusagen. Wieder überlegte ich, was Geld in Verbindung mit einer Pik Dame zu tun habe, aber ich konnte das Rätsel nicht lösen. Den ganzen weiteren Weg zur Arbeit trug ich die Gegenstände in meinen Gedanken und wischte sie erst fort, als ich mich die nächsten Stunden konzentrieren musste.

 

Sobald ich aber den Heimweg antrat, sah ich auch bildlich die Karte wie auch das falsche Geld vor mir. Ich ging einen anderen Weg als gewohnt. An einer Stelle säumten Spiegelscherben den Boden. Waren Scherben nicht ein Symbol für Glück? So langsam gingen mir meine Fundstücke nicht mehr aus dem Sinn. Bald hätte ich die jungen Buben und Mädchen übersehen, die mir auf meiner Seite entgegenkamen. Sie liefen barfuß herbei. Ich ließ sie passieren. Hatte noch etliche Meter ihr Lachen und ihre Rangeleien im Ohr, als ich stockte. Die Scherben!! Herrjeh, die Scherben. Ich drehte mich herum und lief hinter ihnen her.

 

„So wartet, Kinder. Wartet!“ Anstelle meine Bitte zu erfüllen, drehten sie sich nur kurz um und rannten dann mit doppeltem Tempo davon. In mir stieg Panik auf! Ich rief ihnen erneut hinterher, presste meine Worte hervor, sprach von Gefahr und Scherben.

 

Da blieb eines der Kinder stehen. Ein Mädchen. Wie alt mochte sie sein? Etwa acht, vermutete ich. Sie sah mich neugierig an, strich sich die halblangen Haare hinter das rechte Ohr.

 

„Seid ihr ganz alleine unterwegs? Und wo sind denn eure Schuhe?“

 

Sie blickte mich weiter unverwandt an.  Inzwischen waren auch die anderen Kinder zurückgekommen. Sie hielten sich an den Händen und standen alle in zweiter Reihe hinter dem Mädchen.

 

„Wie heißt du, Mädchen?“

 

„Mia.“

 

„Und sind das alles deine Freunde?“ Ich hatte wohl eine Ähnlichkeit festgestellt zwischen den Kindern, aber vielleicht war es auch ein Spieltrupp hier aus dem Ort?

 

Mia nahm die anderen wie eine Mutter in ihre Arme und mir dämmerte, warum sie nicht sprach.

 

„Sag, wo ist deine Mutter, Mia?“

 

Scheu blickten sich die Kinder untereinander an, bis Mia dann doch den Mut fand, zu sprechen. „Du darfst nichts verraten. Bitte. Unsere Mama ist nicht mehr da. Und Papa …“ Sie zuckte die Schultern.

 

„Ja, aber wo wohnt ihr denn?“ Meine Gedanken kreisten bereits und schossen dann in alle möglichen Richtungen.

 

„In dem Kinderheim hinter dem Park.“

 

Ich schluckte meine Hilflosigkeit herunter und kniete mich auf Augenhöhe mit den Kindern. Fünf Augenpaare sahen mich erwartungsvoll an.

 

 

Das ist jetzt acht Monate her. Es war ein langer, gefühlsintensiver und belastender Weg, den ich, nein, den wir alle gegangen sind. Jetzt sind wir beinahe eine richtige Familie.

 

Ich spähe in unserem Haus in der oberen Etage ins Kinderzimmer, das Mia jetzt mit ihren jüngeren Schwestern Paula und Tabea teilt. Die beiden kleinen schlafen noch. Aber unter Mias Augenlidern flattert schon der Tag.

 

Ich blicke aus dem geöffneten Fenster, sehe ihn im Geäst der Esche und weiß es genau.

 

Noch bevor Mia die Augen aufschlägt, hört sie den Eichelhäher.

 

 

Die fett gedruckten grünen Sätze sind nach 10 bzw. 20 Minuten

aus dem Buch IMMER NACH HAUSE von Thomas Lang entliehen worden,

um sie mittig einzubauen und als Ende daraufhin zu schreiben.

Die fetten schwarzen Wörter habe ich aus eigenem Antrieb eingebaut ;)