Türchen 3

 

von meiner Schreib- und Chorfreundin Christiane Röper (ich habe ihr ein Blog-Plätzchen [schönes Wortspiel in der Weihnachtszeit] angeboten, wo es ihre Fortsetzung warm und trocken hat ;)

 

Noch einmal die Texte der bisherigen Tage 1 und 2 kursiv vorangestellt, dann sollten alle auf den Weihnachtszug aufgesprungen sein 😉

 

 

Tag 1

 

Sie saß am Schreibtisch im Licht der ersten Kerze vom Adventkranz und las ihre gerade geschriebenen Zeilen noch einmal durch.

 

„Was wäre, wenn wir über etwas schreiben, was wir nie vergessen haben?“

 

 

Ein Foto.

Ich auf einem Stuhl im Kindergarten mit einem Buch auf dem Schoß.
Welt im Kopf.
Ich konnte noch gar nicht lesen.

 

 

Ein Foto.
Ich mit Schwimmflügeln im Planschbecken.
Welt im Wasser.
Ich konnte noch gar nicht schwimmen.

 

 

Ein Leben.
Ich mit Stift in der Hand.
Welt in Welt.
Ich kann gar nicht mehr anders.

 

 

Die Ankunft einer neuen Nachricht auf ihrem Smartphone lenkte sie kurz ab.

 

 

Tag 2

 

„Kommst du morgen auch zu unserem Abitreffen? Dreißig Jahre ist es her…“ Ich erschrak. Dreißig Jahre? Ist das wirklich wahr? Wie lange hatte ich nichts mehr von Babette gehört und jetzt auf einmal schrieb sie mir. Woher hatte sie überhaupt meine Nummer?

 

Bilder tauchten in mir auf: Vom Abiball, bei dem sich meine Haare in Dietmars Sakko- Knopfleiste verfingen und er mich fast skalpierte. Von meiner Deutschlehrerin Frau Zimbella, die meine Leidenschaft für Bücher teilte und die ich wie eine Göttin verehrte. Von Peter, dem Pickel-Peter, neben den sich keiner setzen wollte und der mir immer so leid tat und…

 

Und dann bohrte sie sich wieder in mein Herz, diese eine Frage, die ich mir schon so lange nicht mehr gestellt hatte. Aus Angst vor der Antwort. Aus Angst vor den Träumen, die mich danach heimsuchten. Aus Angst vor der Begegnung mit dem Damals. Als meine Welt eine Welt in der Welt war.

 

Und doch kann ich ihr nicht entkommen. Dieser einen Frage: Was wäre denn geschehen, wenn ich in der einen Nacht nicht aus Thommis Auto gesprungen und in die Dunkelheit gerannt wäre?

 


 

Tag 3

 

 

Dunkelheit. Auch heute. Der Nachbar von gegenüber schaltet gerade seine Balkonbeleuchtung ein. Adventlich. Klaro. Für die nächsten Wochen wird sein Rentierschlitten ständig durch mein Blickfeld sausen, bunt blinken und doch keinen Zentimeter von der Stelle kommen.

 

Stillstand. Wie in der mehr als dreißig Jahre alten Frage „Was wäre, wenn …?“ Ich versuche gar nicht erst, mir etwas vorzumachen. Die Frage ist nur eine Ablenkung von der eigentlichen: „Was wäre nicht geschehen, was hätte vermieden, verhindert werden können?“

 

Natürlich ist das eine Aufforderung zum Tanz, die das Schicksal spöttisch verweigert. Meine Erinnerungen schauen sehnsüchtig zum Rentierschlitten, vergeblich, der wird sich nicht bewegen. Der Wahrheit lässt sich eben nicht mal auf Kufen entkommen. Thommie ist tatsächlich …

 


Morgen wird Anne auf ihrem Küchenblog den 4. Dezember mit Leben füllen ...