Ein Angebot von Sabine Hinterberger

"Schreiben schafft Verbindung - Schreiben für alle"

ONLINE, mittwochs per ZOOM, 18 - 20 Uhr

Unfreiwillige Herausforderung

 ... eine Geschichte mit drei geschenkten Sätzen 

                       

Sie öffnete ihre Haustür und nahm nur die Tasse Kaffee mit, die sie in der Hand trug. Einen Augenblick Sauerstoff tanken, die Sonne auf der Haut spüren. Sie lehnte die Haustüre an und überlegte kurz, ob sie ihren Schlappen dazwischenlegen sollte. Sie entschied sich dagegen. Kaum hatte sie den Gedanken zuende gedacht, fiel die Tür hinter ihr zu.

 

Erschrocken drehte sie sich um, rüttelte mit der freien Hand an dem Knauf. Ihr Nachthemd flatterte im Wind.

 

Marlene! Sie schalt sich selbst. Dann entsann sie sich ihres Morgengetränks, setzte sich auf die mittlere Stufe und blickte die Straße entlang in Richtung Wald. Was jetzt? Dummerweise hatte sie den versteckten Haustürschlüssel bereits vor einigen Wochen genutzt und nicht wieder zurückgelegt, was sich jetzt rächte. Dummerweise war sie auch ganz alleine; ihr Mann auf einer Geschäftsreise, die Tochter auf einer Freizeit.

 

Morgen, erst morgen gegen Nachmittag erwartete sie ihren Mann zurück. Sollte sie Unterschlupf bei einer Freundin suchen? Den Schlüsseldienst rufen? Irgendetwas kitzelte in ihr! Hatte sie nicht schon lange das Bedürfnis, etwas Aufregung vertragen zu können? Sie trank den letzten Schluck Kaffee aus, ging hinter das Haus und griff nach ihrem Fahrrad. Sie stellte die Tasse in den Fahrradkorb, nahm eine Wasserflasche aus dem Kasten und zwei Äpfel aus der Marktkiste. Suchend blickte sie sich um. Die alte Decke! Kurzentschlossen packte sie das verfilzte Teil und legte es mit in den Korb. Was konnte sie noch gebrauchen? Die alte Yogamatte wanderte zu den anderen Utensilien.

 

Marlene fand sich direkt verwegen, als sie ihr Nachthemd zusammenraffte und sich auf den Sattel schwang. Wie eine Verrückte, die aus einer Anstalt ausbrechen wollte! In Nachthemd und Schlappen, nichts dabei als Äpfel, Wasser und eine Decke im Gepäck. Was tat sie hier?

 

Aber es fühlte sich gut an. Selbstbestimmt und frei. Um diese Zeit war noch niemand auf der Straße zu sehen, als sie den kurzen Anstieg zum Wald mit kräftigen Tritten meisterte. Lediglich der Nachbar, der zuoberst wohnte, im Haus am Wald, stand mit dem Handy vor seiner Garage.

 

„Ich muss mal telefonieren“, sagte Randolf.

Was hatte der denn zu verbergen? Seltsam! Marlene war irritiert, sie spürte aber auch seinen verwunderten Blick im Nacken. Sie hakte den Zwischenfall ab und erreichte kurz darauf einen gut zu befahrenden Waldweg. Die Luft war schon warm und weich. Ja, genau. Weich. Sie lächelte über sich selber. Im Gegensatz zu ihrem Sattel. Bereits jetzt hatte sie das Gefühl, keine hundert Meter mehr auf dem Teil fahren zu können. Aber es lag nicht in ihrer Macht. Weiter und weiter zog es sie in den Laubwald. An einer Lichtung machte sie Halt, stellte das Rad ab und drehte sich wie eine Primaballerina um die eigene Achse. Ihr Nachthemd flog hoch bis zum Oberschenkel. Wie gut das tat!

 

Sie packte ihren Korb aus, legte die Yogamatte auf den Boden und setzte sich, um einen Apfel zu essen und einen Schluck Wasser zu trinken. Die ungewohnte Stille des Waldes wurde nur von einigem Vogelgezwitscher unterbrochen. In einer spontanen Eingebung stand sie wieder auf und ging einige Schritte auf die kompakte Eiche zu, die ihr am nächsten stand. Sie legte die Arme um den Baum, schmiegte sich an ihn und schloss die Augen. Was für ein Gefühl, dieses Wunder der Natur in ihren Armen zu halten. Erst zögerlich, dann immer schneller flossen die Worte, die sie ihm anvertraute, aus ihrem Mund.

 

Er schwieg und hörte einfach weiter zu.