Ein Angebot von Sabine Hinterberger

"Schreiben schafft Verbindung - Schreiben für alle, ONLINE,

mittwochs per ZOOM, 18 - 20 Uhr

 

 

 

Schreibimpulse zum Thema: Anfang

Mein genialer Anfangssatz stammt aus dem Roman von DÖRTE HANSEN, Altes Land.

Nicht um jeden Preis!

 

In manchen Nächten, wenn der Sturm von Westen kam, stöhnte das Haus wie ein Schiff, das in schwerer See hin- und hergeworfen wurde.

 

Heute war wieder so eine Nacht.

 

Das Feuer erlosch. Rengin fror schon den ganzen Tag und war in dem Haus hin- und hergerannt, um das Wenige an restlicher Körperwärme zu halten. Verzweifelt hatte sie versucht, den offenen Kamin am Brennen zu halten. Sie hatte sogar eines ihrer Bücher geopfert, denn die Nächte um den Namenstag des Pelin zu Ende Februar waren kalt und konnten den Tod bedeuten, wenn man sich in den Wäldern aufhielt. Sie suchte die gestrickte Decke und schlang sie um den dünnen Körper. In dem alten marmorierten Spiegel erkannte sie, dass ihre Lippenfarbe von rot ins bläuliche verlief. Rengin grub die Schneidezähne in die Unterlippe, bis sie es spürte. Der metallische Geschmack von Blut machte sie hellwach.

 

Sie musste dieses Haus verlassen, auch wenn es nicht erlaubt war! Ohne Holz, ohne einen brennenden Kamin wäre sie in dieser Nacht verloren! Die kalten steifen Füße krallten sich in die Holzschuhe, als sie die rostige Klinke griff und die Holztür aufzog. Sofort riss ihr der Wind das Türblatt aus der Hand. Blätter stoben und Regentropfen wie Nadeln stachen ihr ins Gesicht. Geistesgegenwärtig drückte sie die Tür zu und lief zu dem windgeschützten Schuppen, der gut zwei Dutzend Meter entfernt Zuflucht bot.

 

Ihre Kleidung war durchnässt bis auf die Haut. Wenn sie sich jetzt noch die Lungenentzündung holte, sähe es schlecht um sie aus. Sie musste sich beeilen. Schnell und gründlich suchte sie im Windschatten des Schuppens nach trockenen Holzscheiten. Sie stapelte so viele wie möglich auf ihren dünnen Armen, presste sie vor die Brust und schaffte es, noch weitere zwei obenauf zu laden. Schritt für Schritt wagte sie sich im Dunkeln hinter dem Schuppen hervor. Es war die schwärzeste Nacht des Jahres. Nicht mal die schmale Sichel des Mondes war zu erkennen.

 

Verdammt! Das Holz rutschte ihr aus den Händen. Sie zuckte zusammen. Ihr linker Knöchel! Gleichzeitig verspürte sie, dass ein Holzspan in ihrem rechten Unterarm steckte. Sie ließ Holz Holz sein und bemühte sich, aufzustehen und ihr Gleichgewicht zurückzugewinnen. Wenn sie das Gewicht auf den rechten Fuß konzentrierte und vorsichtig humpelte, konnte sie es bis ins Haus schaffen.

 

Das Holz! Sie musste zurück. War da nicht eine Schubkarre neben dem Regenrohr gewesen? Warum hatte sie sich bloß auf dieses Abenteuer eingelassen? Es dauerte Ewigkeiten, bis sie die Karre erreichte und unter Schmerzen zurückging. Wieder spürte sie den metallischen Geschmack auf ihrer Lippe, weil sie diese so fest zusammenbiss.

 

Dann hatte sie es geschafft. Scheit für Scheit trug sie ins Haus, alles andere um sie herum ignorierend. Morgen, morgen stünde die nächste Entscheidung bevor.

 

Während sie mühsam den Kamin in Gang brachte, fühlte sie Millionen von Augen auf sich gerichtet. Sie war es leid! Sie würde diese Kameras und Mikrofone zukleben und dem Sender ihren Auszug aus dem einsamen Haus mitteilen. Das hier war keine Möglichkeit, das Rad zurückzudrehen, ihre Karriere anzukurbeln. Sie würde nie ein strahlender Stern am Showhimmel sein. Sie war und würde immer ein C-Promi bleiben.

 

Erst heute war es ihr klar geworden. Rengin wollte ihr Leben und diese Bilder mit niemandem mehr teilen.

 

 

Nicht um jeden Preis!