Für dich ... und dich ... und dich ...



 

Unbekannte Welt

 

Der Wind wurde immer heftiger. Die Regentropfen fühlten sich an, als wenn feine Nadelstiche in sein Gesicht dringen würden. Da half kein Schirm, den der kleine Prinz sowieso nicht dabei hatte, aber auch keine Kapuze.

Die Rüschen seines weißen Hemdes waren schon feucht von der Luft und den dicken Tropfen, die ihn immer wieder erwischten. Die nächste Windböe kam von schräg rechts. Was für eine blöde Idee war das gewesen, seinen Palast zu verlassen, um frische Luft zu schnappen. Aber es war ihm alles zu eng geworden; alles. Sein eigentlich riesiges Zimmer, das Haus, die behütende Liebe seiner Eltern.

Er wollte kein kleiner Prinz mehr sein. Also stapfte er weiter durch den fiesen Regen, der die akkurat gepflegten Wege und Beete mit seiner trüben Stimmung im Griff hatte. Bald hatte er das Gefühl, die Statuen aus Granit, die die Wege im Park säumten, schauten ihm wissend hinterher.

Was guckt ihr so?“, schrie er sie an. „Ich mache jetzt, was ich will. Ich will endlich die Welt hinter dem großen Tor kennen lernen. Ich bin immer nur alleine. Ich habe es so satt!“ 

Die Statuen schüttelten ihren Kopf und machten ihm Zeichen, umzudrehen … Zumindest kam es dem kleinen Prinzen so vor. 

Seine feinen, seidenen Hosen waren schon bespritzt von dem Schmutz, den seine ungehaltenen Schritte aufwirbelten. Seine guten schwarzen Schuhe waren jetzt nicht mehr seine guten schwarzen Schuhe.

Der kleine Prinz ging weiter, bis er an das große eiserne Tor kam.

Es stand einen Spalt offen. Er schlüpfte hindurch und … das hier war also die normale Welt, das Leben der anderen? 

Wenn er seine Augen etwas anstrengte, konnte er in der Ferne kleine Häuser sehen, die zu mehreren zusammen standen.

Der Regen hatte aufgehört. Der kleine Prinz nahm seine Kapuze ab, schüttelte seine blonden Locken und lachte sich die letzten Regentropfen vom Gesicht. Eilig ging er die schnurgerade Straße entlang auf das erste der Häuser zu. Es hatte ein rot gedecktes Dach und war schneeweiß gestrichen. Hinter den hölzernen Fensterrahmen leuchtete warmes Licht durch die beschlagenen Scheiben.

Der Prinz stellte sich auf die Zehenspitzen und lugte durch das Fenster.

Plötzlich zuckte er zurück, als sich ein Gesicht zu ihm umdrehte. Er wollte sich schnell bücken, aber der fremde Junge hatte ihn schon entdeckt. Er sprang von der Essbank herunter und war aus seinem Blickfeld entschwunden. 

Auf einmal ging die Tür auf. Ein Gesicht übersät mit Sommersprossen, umrahmt von roten Haaren, schaute um die Ecke. Zwei grüne Augen zwischen den ganzen Sprossen, darunter blasse Arme die in einem T-Shirt steckten und Jeans an den Beinen, guckten ihn erwartungsvoll an.

"Hallo“, sagte der Junge, „wer bist du? Dich habe ich hier noch nie gesehen. Du bist ja ganz nass. Komm rein ...“

"Ich bin der kleine Prinz“, sagte der kleine Prinz. „Ich ... ich weiß nicht, ob ich das darf.“

"Mama, Mama. Der kleine Prinz ist hier! Ich bin Frederic. Jetzt komm schon rein. Du musst dich aufwärmen. Bei so einem ungemütlichen Wetter machen wir immer ein Kaminfeuer an. Du kannst die nassen Sachen ausziehen und ich gebe dir was von meinen. Hier ist auch eine Decke!“

Der kleine Prinz stand immer noch unschlüssig in der geöffneten Haustür. Dann setzte er doch einen Fuß über die Schwelle und fühlte sich sofort wohl bei den Menschen, die ihn in ihr Haus einluden.

Die Mutter machte eine Tasse Kakao und einen Teller mit Broten, während der kleine Prinz sich T-Shirt und Hose von Frederic anzog.

Butterbrote mampfend erzählte der kleine Prinz, dass er nur den Palast kennen würde und den großen Park und dass er keinen zum Spielen habe und dass er doch so gerne mal durch das große eiserne Tor gehen wollte …

Frederics Mutter hatte einige Mühe, die Telefonnummer vom kleinen Prinzen herauszubekommen. Dann rief sie seine Eltern an. Nach einigen Minuten am Telefon sagte sie zum kleinen Prinzen: “Deine Eltern waren sehr freundlich. Du darfst noch bis heute Nachmittag bei uns bleiben. Dann wirst du abgeholt.“

Der kleine Prinz und sein neuer Freund Frederic freuten sich, nahmen sich an den Händen und marschierten zusammen in Frederics Reich. 

Spät am Nachmittag holte der Fahrer des Königs den kleinen Prinzen ab und versprach seinem neuen Freund, dass er in den nächsten Tagen in den Palast eingeladen sei.

Der kleine Prinz hüpfte vergnügt neben ihm her und freute sich darüber, dass er endlich einen Freund gefunden hatte ...